In einem zehn-Punkte-Plan fordert die SPD im Landkreis München ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik. "Die große Zahl der Flüchtlinge, die in den letzten Wochen und Monaten zu uns gekommen sind, hat nicht nur die bisherigen Prognosen übertroffen, sondern hat auch aufgezeigt, wo derzeit die Grenzen der Leistungsfähigkeit organisatorischer Strukturen liegen", heißt es in der Erklärung. Der vollständige Text ist nachfolgend abrufbar:
Die große Zahl der Flüchtlinge, die in den letzten Wochen und Monaten zu uns gekommen sind, hat nicht nur die bisherigen Prognosen übertroffen, sondern hat auch aufgezeigt, wo derzeit die Grenzen der Leistungsfähigkeit organisatorischer Strukturen liegen. Ohne die Vielzahl an ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, in der Notunterkunft in Keferloh, in Dornach, aber auch in den einzelnen Kommunen wäre diese humanitäre Herausforderung kaum zu bewältigen.
Jedoch wäre die logistische Krise im Ballungsraum München vermeidbar gewesen. Denn dass es vor dem Hintergrund der Ausweitung des Bürgerkrieges in Syrien, Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent, der Situation der Roma auf dem Balkan sowie der prekären Flüchtlingsversorgung in den Mittelmeerstaaten Griechenland und Italien zu keiner Ab-, sondern Zunahme von Migrationsbewegungen in Richtung Mitteleuropa kommen würde, liegt auf der Hand. Anstatt also Maßnahmen für den absehbaren Anstieg der Flüchtlingszahlen in Bayern zu ergreifen, hat die bayerische Staatsregierung in den vergangenen Jahren Flüchtlingslager geschlossen und Infrastruktur abgebaut. Die Folge davon ist Angst in der Bevölkerung vor dem Kollaps und die Angst davor, es – entgegen der Worte der Bundeskanzlerin - doch nicht zu „schaffen“.
Trotz der beeindruckenden Leistung der Ehrenamtlichen darf die bisherige Bewältigung der Krise aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zuvörderst staatlichen und professionellen Strukturen obliegt, die Voraussetzungen für eine humane und angemessene Unterbringung von Flüchtlingen zu schaffen.
Wir wollen gute Nachbarn sein, indem wir solidarisch sind mit der Stadt München, in der die meisten Flüchtlinge ankommen. Wir fordern eine zügige und gerechte Verteilung der Flüchtlinge im Bundesgebiet. Denn unter guter Nachbarschaft verstehen wir auch ein angemessenes Verhältnis zwischen einheimischer Bevölkerung und Flüchtlingen. Auch bei der Erstunterbringung wie in Dornach dauerhaft geplant, gilt für uns: das richtige Verhältnis muss gewahrt werden. Wir wollen ein Volk guter Nachbarn sein, indem wir Flüchtlinge gerecht und menschlich versorgen, dabei aber die Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge nicht vernachlässigen. So darf es z.B. keine Engpässe bei der Versorgung mit Kita-Plätzen geben und keine Nachsichtigkeit bei der Unterbringung von Wohnungslosen. Für uns gilt: Bedürftige dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Um das zu gewährleisten braucht es mehr finanzielle Mittel des Bundes für die Kommunen und Landkreise. Schließlich wollen wir aber auch in der langfristigen Perspektive gute Nachbarn sein, denn im Zuzug junger Menschen sehen wir auch eine Möglichkeit, das Problem des demographischen Wandels abzuschwächen oder dem Fachkräftemangel in Bayern zu begegnen. Hierzu braucht es ein Einwanderungsgesetz, aber auch außerordentliche Integrationsmaßnahmen hinsichtlich derer wir uns dem vom Zentralrat der Muslime in Deutschland geforderten Motto anschließen: Fördern und Fordern.
Zur kurz- und mittelfristigen Verbesserung der Flüchtlingssituation legen wir den nachfolgenden 10-Punkte-Plan vor:
Die Hürden zum deutschen Arbeitsmarkt sind für Flüchtlinge weiterhin hoch. Wir fordern die sofortige Aufhebung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge und Geduldete in den ersten drei Monaten sowie die Aufhebung von Einschränkungen bei der Arbeitsgenehmigung, der Flüchtlinge in den ersten 15 Monaten immer noch ausgesetzt sind. Beide Einschränkungen erschweren eine zügige Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Fachkräftemangel und Integration erfordern an dieser Stelle ein zügiges und unbürokratisches Handeln.
Integrations- und Sprachkurse alleine, an denen Flüchtlinge teilnehmen sollen ohne aktiven Kontakt in die deutsche Gesellschaft zu pflegen, erschweren das Erlernen der Sprache bzw. machen eine Integration unmöglich. Von einer Integration auf dem Reißbrett soll Abstand genommen werden, indem parallel zu Integrations- und Sprachkursen auch die Ausübung von Erwerbstätigkeit gefördert wird. Zudem schließen wir uns der Forderung der DIHK an, dass Asylbewerber in Ausbildung nicht abgeschoben werden und diejenigen, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben, anschließend mindestens 2 Jahre nicht abgeschoben werden, auch wenn ihr Asylantrag abschlägig beschieden wurde. Des Weiteren fordern wir eine ausreichende Zahl an Übergangsklassen an allen Schulen im Landkreis München, damit eine optimale Förderung aller Kinder gewährleistet wird.
Wir fordern die bayerische Staatsregierung auf sich dafür einzusetzen, dass in Bayern untergebrachte Flüchtlinge eine Gesundheitskarte nach dem Beispiel von Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen erhalten, um damit unbürokratisch die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen zu können. Die der bayerischen Rechtslage geschuldete Praxis der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ist derzeit überaus bürokratisch und bindet dringend benötigte zeitliche Kapazitäten.
Wir fordern die Streichung der Lagerpflicht für Flüchtlinge aus dem bayerischen Aufnahmegesetz und die Anpassung der Regelung an herrschendes Bundesrecht, das von der Lagerpflicht entbindet. Das bayerische Aufnahmegesetz sieht vor, dass alle Flüchtlinge im Asylverfahren sowie Geduldete in Sammellagern untergebracht werden müssen und ein Auszug nur unter schwer zu erfüllenden Auflagen möglich ist. Stattdessen könnten Flüchtlinge aber auch unbürokratisch zu Freunden und Verwandten, in Wohngemeinschaften und eigene Wohnungen ziehen. Sie würden damit Plätze in den bestehenden Lagern und Unterkünften für neu ankommende Flüchtlinge frei machen. Die als Instrument der Abschreckung konzipierte Lagerpflicht erzielt ihre fragwürdige Wirkung nämlich offensichtlich nicht, aber überfordert Kommunen und Bevölkerung.
Der Landkreis München soll nach dem Vorbild des Konzepts der Stadt München für sanierungsbedingt leer stehende Wohnung von städtischen Wohnungsbaugesellschaften, Wohnungen von Privaten zur Zwischennutzung durch Menschen ohne Wohnung anmieten. In den Kommunen des Landkreises München herrscht Wohnungsknappheit. Die Stadt München mietet für eine Zwischennutzung geeignete leerstehende Wohnungen von ihren Wohnungsbaugesellschaften an und überlässt sie im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Nutzungsverhältnisses Menschen ohne Wohnung. Diese Lösung kann auch im Landkreis München privaten Vermietern, die Wohnungen sanierungsbedingt leer stehen lassen, angeboten werden. Sie bringt allen Beteiligten Vorteile: Menschen ohne Wohnung werden angemessen untergebracht und müssen nicht länger in Pensionen und Containern leben.Die privaten Vermieter erzielen durch die Zwischennutzung zusätzliche Einnahmen.
Der Landkreis München soll sich für die Errichtung von W-LAN-Verbindungen in allen Flüchtlingsunterkünften einsetzen. W-LAN in Flüchtlingsunterkünften würde die Tätigkeit der Mitarbeiter sowie die Arbeit der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in den Unterkünften um ein Vielfaches erleichtern. Gerade die Kommunikation unter den Ehrenamtlichen läuft häufig über E-Mails und die sozialen Netzwerke ab. Ehrenamtlichen, die ihre privaten Smartphones auch für die Arbeit in den Unterkünften nutzen, würden dadurch zumindest keine weiteren Kosten durch die Nutzung mobiler Datendienste entstehen. Auch für Flüchtlinge wäre es eine Erleichterung, wenn sie über den begrenzten Rahmen von Prepaid-Karten hinaus W-LAN-Verbindungen nutzen könnten. Gerade für die Orientierung über Online-Dienste unterschiedlicher Art (z.B. googlemaps), für die Nutzung von Wörterbüchern und Sprachübungen, Behördenadressen, Öffnungszeiten, aber auch für die Kontaktpflege in die Heimat ist das Internet heute unentbehrlich geworden. Um mögliche Risiken der Störerhaftung für den Landkreis München zu vermeiden, soll dieser sich dafür einsetzen, dass Provider in unmittelbarer Nähe von Flüchtlingsunterkünften W-LAN-Hotspots aufstellen.
Bei der Besetzung der Flüchtlingsunterkünfte in den Kommunen soll das Landratsamt zum Einen den bereits vorhandenen Integrationsstand einzelner Flüchtlinge berücksichtigen, also durch das Verbringen in einen neuen Ort keine aufgebauten Sozialstrukturen wieder aufheben. Zm anderen ist zu berücksichtigen, welche Flüchtlingsgruppen jeweils zueinander passen. Bevölkerungsgruppen, die sich in ihrer Heimat in einem Konflikt befinden,bspw. zu Zimmernachbarn zu machen, ist nicht zweckdienlich.
Die Betreuung der Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften und in den Turnhallen erfolgt derzeit durch ausgebildete Sozialpädagoginnen und -pädagogen. Zweifelsohne leisten diese eine hervorragende Arbeit. Vor dem Hintergrund des hohen Bedarfs an Betreuungspersonal und der gleichzeitig Knappheit ausgebildeter SozialpädagogInnen ist von der ausschließlichen Verwendung von SozialpädagogInnen abzusehen. Auch anderweitig geschultes Personal könnte die Aufgaben der Betreuung von AsylbewerberInnen in den Unterkünften übernehmen. Wichtiger als eine bürokratische Hürde erscheint in der derzeitigen Situation eine flächendeckende und ganzzeitige Betreuung in den Unterkünften.
Im Landkreis München ist unter dem Motto „Flüchtlinge helfen Flüchtlingen“ ein Modellprojekt zu starten. Flüchtlinge bzw. anerkannte Asylbewerber sind diejenigen, die am besten wissen, welche Fragen neu ankommende Flüchtlinge haben, welche Probleme sie bewegen und wie sie sich am besten im Landkreis München zurechtfinden können. Deswegen sollen diese im Rahmen eines Tutorensystems die Betreuung in Teilen übernehmen. Eine Orientierung kann dabei das Makarenko-Konzept darstellen.
Die Flüchtlingsunterbringung führt zu erhöhten Ausgaben. Der ausgeglichene Staatshaushalt darf vor dem Hintergrund anderer, ebenso erforderlicher Ausgaben bspw. im Bereich der Daseinsvorsorge keine Priorität haben.