Das Mittelmeer, - vom „mare nostrum“ bis zur Systemgrenze

19. November 2016

Am 17.11.2016 berichtete Franz Maget, Sozialreferent der Deutschen Botschaft in Tunis, unter dem Titel „Mittelmeer blickt nach Europa“von der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation in Tunesien nach der Jasminrevolution.

Der Einladung der Garchinger SPD, der SPD im Landkreis München sowie des Forums Kirche und SPD e.V., die Organisatoren der Veranstaltung waren, folgten ca. 70 Gäste, die im Anschluss an den Vortrag Gelegenheit zu Fragen und Diskussion hatten.

Franz Maget spannte in seinem Vortrag einen weiten Bogen, indem er zu Beginn deutlich machte, „das Mittelmeer wurde in der Antike als mare nostrum bezeichnet, der gesamte Mittelmeeraum war eine wirtschaftlich und kulturell eng verbundene Region, die vor allem rege Handelsbeziehungen pflegte. Heute dagegen befindet sich Tunis zwar nur etwa zwei Flugstunden von München entfernt, jedoch ist Tunesien heute eine andere Welt, die vor allem vom sunnitischen Islam geprägt ist. Das Mittelmeer ist zur Systemgrenze geworden. Es stellt eine scharfe Trennline und keine Verbindung der Kulturen mehr dar.“

Weiter schilderte Maget, Tunesien sei heute im Prinzip ein offenes und tolerantes Land. Es gebe eine christliche Gemeinde, der er auch selbst angehöre, jedoch sei die zunehmende Verbreitung einer engen Auslegung des Islam ebenfalls nicht zu bestreiten. Maget erinnerte dabei an den Islam, wie er früher gewesen ist, als in Europa noch das finsterste Mittelalter herrschte. Die islamische und arabische Welt sei es gewesen, die das Wissen der Antike in ihren Bibliotheken bewahrt und fortentwickelt hätte; wesentliche Errungenschaften der Wissenschaft seien der arabischen Welt zu verdanken gewesen und auch Toleranz gegenüber anderen Religionen sei früher ein hohes Gut gewesen.

Der Westen, so Maget blicke heute mit großem Misstrauen und auch mit Sorge und Furcht auf den Islam. Dies seien aber keine guten Voraussetzungen für eine gute kulturelle Verbindung zum Nachbarn. Ebenso kritisierte Maget, das Hauptziel der Entwicklungspolitik sei momentan die Bekämpfung der Fluchtursachen anstatt die Förderung und der Aufbau der Staaten selbst. Dies dürfe aber nicht zum Grundprinzip werden, da hinter der Bekämpfung der Fluchtursachen – so richtig dieses Ziel im Ergebnis auch sein möge – letztlich nur nackter Egoismus stehe und der Wille, sich selbst zu schützen. Insgesamt lobte Maget das deutsche Engagement in Tunesien, das vor allem auf einen partnerschaftlichen Auftritt abziele und daher auch maßgeblich zum hohen Ansehen der Bundesrepublik sowie der Deutschen in Tunesien beitrage.

Weiter stellte Maget die wirtschaftliche Situaion des Landes dar, die vor allem von einer hohen Arbeitslosenquote unter männlichen Akademikern geprägt sei. 40% der männlichen Akademiker seien derzeit arbeitslos. Die ökonomische Perspektivlosigkeit der jungen Männer sei es auch, die sie am Ende zum IS triebe. Aus Tunesien haben sich dem IS schätzungsweise 3.000 – 6.000 Kämpfer angeschlossen. In diesem Zusammenhang lobte Maget auch ausdrücklich das Engagement deutscher Unternehmen in Tunesien, die die duale Berufsausbildung in Tunesien fördern würden. Zwar dürfe man sich auch hier keinen Illusionen hingeben, da sehr geringe Löhne gezahlt würden, jedoch sei es wichtig, dass zunächst überhaupt Stellen geschaffen würden. Dabei zog Maget aber auch den Vergleich zum IS: Während ein Tunesier bei einerdeutschen Firma umgerechnet 300 -400,00 EUR verdiene, biete ihm der IS 500,00 EUR im Monat, viele weitere Vergünstigungen und am Ende diene der Einsatz in der Wahrnehmung der Kämpfer auch „der guten Sache“. Die Rückkehrer vom IS seien es nun, die für die tunesischen Sicherheitskräfte eine große Sorge darstellten.

Sehr positiv sei aber, dass es mit der tunesischen Demokratie insgesamt bergauf geht, so Maget. Während man in Ungarn, in Polen und auch in der Türkei eine umgekehrte Bewegung beobachte, stelle Tunesien eine neue Demokratie dar. „Tunesien“ erklärte Maget, „ist das einzige arabische Land mit einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie.“ Problematisch sei lediglich, dass die Parteien – noch unerfahren – sich häufig streiten, teilen und insgesamt einen eher chaotischen Eindruck erwecken. Das trage dazu bei, dass viele Bürger müde würden und die wirtschaftlichen Verhältnisse kaum besser seien als vor der Jasminrevolution. Dringend erforderlich für die Stärkung des Parlamentarismus' sei es daher, dass es zu realen wirtschaftlichen Verbesserungen im Land kommt. Auch fügte Maget an, die meisten Parlamentsabgeordneten seien männlich und hätten einen sehr hohen Altersschnitt. Dabei seien es die tunesischen Frauen, die erwerbstätig seien, die Familie führten und insgesamt die besseren, fleißigeren Arbeitnehmerinnen seien, die gerne auch die Initiative ergriffen.

Schließlich erläuterte Maget, die einzige politische Partei, die derzeit funktioniere, das sei die Partei des politischen Islam, die Enahda. Diese sei früher im streng laizistischen tunesischen Staat verboten gewesen und viele ihrer Funktionäre seien politisch verfolgt worden. Da die Enahda es aber gewesen sei, die in Zeiten wirtschaftlicher Not, viele Menschen mit Gütern wie etwa Brot versorgt hätte, sei die Partei im Volk sehr beliebt. In diesem Zusammenhang ist daher spannend, was passiert, wenn die Enahda gewinnt. Offiziell bekennt sich die Partei nämlich zur Demokratie. Hierzu erklärte Maget: „Der Kern des tunesischen Experiments ist: Ist eine demokratische Gesellschaft auch in einem islamischen Land möglich?“ Gerade diese Frage, so Maget, sei für das deutsche Engagement in der islamischen Welt von größter Bedeutung.